Giridevi Duranjaya - Deutschsprachige Autorenlesung in Huin

Endlich. Verwöhnt von einem regen Lesungsbetrieb auf den beiden anglo-amerikanisch geprägten Sims Book- und Publishing Island, einem meiner ersten Heimatorte in Second Life, bin ich als Buchfan, -produzentin und Leseratte erfreut, zu erleben, dass sich auch in deutschsprachigen Communities eine Lesungskultur entwickelt. Englisch zu sprechen, zu hören und selbst zu schreiben, ist ehrenwert, anstrengend und durchaus bildungs- und kommunikationsfördernd, doch sich in seiner Muttersprache zu äußern, gibt ein befriedigerendes Gefühl von Expressivität bzw. das Gefühl, dem näher gekommen zu sein, was man textuell für andere von sich wahrnehmbar machen wollte. Außerdem bietet die deutsche Sprache andere Möglichkeiten als die englische, aber das ist ein anderes Thema.
Jedenfalls fand eine der ersten deutschsprachigen Lesungen am Sonntag, dem 20.07. 2008 auf dem Sim Huin in der Mitte eines als Dorfplatz gestalteten Ambientes statt. Ein kleines Bühnenpodest, mehrere Holzbänkchen und die Einladung der Veranstalterin Zauselina Rieko zusammen mit der Gruppe Brennende Buchstaben zogen immerhin um die 20-25 Zuhörer an, die ein zweistündiger Lesungsabend mit einer großen Vielfalt an literarischen Genres und Themen erwartete.
Ich will mich hier nicht zum Reich-Ranitzki von Second Life aufschwingen, sondern berichte lediglich von der Vielfalt. Eine Bestandsaufnahme. Sicher mag es Qualitäts- (und auch Quantitäts-) unterschiede bei den Vorträgen gegeben haben, das kann jeder Hörer für sich selbst entscheiden und Geschmäcker sind ja nunmal auch sehr unterschiedlich. Schließlich macht es gerade den Charme und die Attraktivität von Second Life aus, dass immer wieder völlig unterschiedliche Welten und Vorstellungen direkt nebeneinander zu finden sind, koexistieren und manchmal auch aufeinander prallen. Das kann man als Übung in Basis-Demokratie und Toleranz verstehen. Hier eine Kürzestzusammenfassung:
PierreCorell Flow eröffnete die Lesung bzw. ergänzte sie in einem zweiten Teil mit seiner düsteren, metaphernschweren expressiv-surrealisierenden, doch postindustriell-eingebettet kritischen Lyrik. Im Gegensatz zu ihm bin ich nicht der Meinung, dass ein Hören in seinem Fall für den Rezipienten erhellender ist als ein Lesen. Beides wäre dem Verständnis förderlich. Außerdem braucht seine Lyrik Kontext; insofern wäre hier eine Diskussionsveranstaltung eher angesagt als eine pure Lesung. Könnte man ja für weitere Veranstaltungen andenken.


Marcus Person stellte eine Science-Fiction-Kurzgeschichte vor mit dem Titel "Die Sieger", die man sich durchaus auch innerhalb einer endzeitlich urbanen Umgebung von Second-Life vorstellen könnte. Es geht um androide Existenzformen im Überdauernskampf mit den Überresten humanoiden Lebens. Schön-schauerlich mit dem Charme des Hässlichen und Dekadenten.

Die Veranstalterin Zauselina Rieko las dann die Kurzgeschichte "Handyfrei" von Samira Samtanko vor, die zwar anwesend war jedoch anscheinend kein Mikrophon dabei hatte. Es ging darin um den Dauerbrenner des Betrügens und Betrogenwerdens, eine Dreiecksgeschichte mit überraschendem Ende.
Eine ganz andere Stimmung brachte darauf Astaldiel Serapis mit ihrer Lyrik in die Runde. Sie beschäftigte sich auch in Kürzestgeschichten "Der Besuch I und II" mit der Thematik "Höflichkeit" und kritisiert Floskelhaftigkeit und Oberflächlichkeit, letztlich Unehrlichkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen.
Mit unglaublicher Professionalität und Verve trug dann Frank Sorge, der männliche "Realavatar" des weiblichen "Inworld-Avatars" Renate Lubitsch seine Texte mit mehr oder minder ausgeprägtem Second-Life-Bezug vor. Man spürt deutlich die professionelle Bühnen-Lesungserfahrung dieses Avatars und ich musste mich zwingen, akustisch nichts zu versäumen, da ich (rofl) am Boden lag und mich vor Lachen krümmte... Wahnsinn! Toll! Einfach jenseits... der Brief "Zweitleben" von Renate an ihre Freunde in der Virtualität...oder auch "Score" und "Internet für alle" und alle anderen... Das lässt auf weitere vergnügte Lesungsereignisse hoffen, was Renate dann auch ankündigte.


Kamherra Albatros trug schließlich eine Märchenparodie von Rotkäppchen (Blaukäppchen) vor, eine makabre modernisierte, mit aktuellen Showstars angereicherte Variante, in der der Wolf zu einem Meerschweinchen mutiert und es dank einer abführenden Droge zu einem Happy-End kommt.
Der letzte Vorleser war dann Oliver Gassner, dessen Sachtext aus seiner RL-Publikation "Second Life, das Buch zum zweiten Leben" (zus. mit Olivia Adler) sich überraschend gut einfügte in die belletristisch gesättigte Abfolge. Er las aus einem Kapitel des Buches, das sich mit einem Blick in die Zukunft beschäftigt und stellte die diversen Vorteile von 3D-Umgebungen für private und professionelle Anwendungsmöglichkeiten vor. Auch hier hätte man sich gut eine anschließende Diskussion vorstellen können.

Die Lesung wurde von der netten und sehr ausgeglichenenVeranstalterin, einer daneben auch begabten Designerin von Ethno-Klamotten, Zauselina Rieko mit der Bitte um Verbesserungsvorschläge beschlossen, wobei der Vorschlag von Leseanimationen genannt wurde.

Meine drei Vorschläge aus der Hörerperspektive für weitere Lesungen wären:
1. Sitzkreis für alle (Autoren und Hörer) bringt das Gefühl des "Eingebettetseins", vermindert das Gefühl des "Ausgeliefertseins" für unerfahrene Vorlesende.
2. Straffere Zeitorganisation (weniger ist mehr!) mit der Möglichkeit eines anschließenden Diskurses nach jedem Beitrag.
3. Mehr Vortragsstoffe mit Bezug zu Second Life.

Ansonsten, alle Achtung für eine sehr begrüßenswerte Veranstaltung, die unbedingt zur regelmäßigen Einrichtung werden sollte!